Sepsis - Schnelle Diagnose rettet Leben

Warum eine Sepsis – im Volksmund Blutvergiftung genannt – so tückisch und so häufig tödlich ist

Etwa 280 000 Menschen erkranken jährlich in Deutschland an einer Sepsis, circa 67 000 versterben – die im Volksmund auch Blutvergiftung genannte Krankheit ist damit nach Krebs und Herzinfarkt die dritthäufigste Todesursache. Wir haben mit Dr. Martin Grapengeter und Beate Erath vom Klinikum Bad Hersfeld über die tückische Sepsis gesprochen.

Was ist eine Sepsis bzw. Blutvergiftung überhaupt?
Der im Volksmund gebräuchliche Begriff klingt für Dr. Martin Grapengeter viel zu niedlich, schließlich handele es sich um eine häufig tödlich verlaufende Erkrankung, warnt der Chefarzt, der von einem hochdramatischen Krankheitsbild mit einer Sterblichkeit von 30 bis 50 Prozent spricht. Einer international gebräuchlichen Laiendefinition nach handelt es sich um einen lebensbedrohlichen Zustand, zu dem es kommt, wenn die Reaktion des Körpers auf eine Infektion den eigenen Organen Schaden zufügt. Das ist auch der Unterschied zu einer schweren Infektion: Die Sepsis beschränkt sich nicht mehr allein auf das Ausgangsorgan. Eine Sepsis ist sozusagen eine außer Kontrolle geratene Entzündung.

Wie entsteht so eine außer Kontrolle geratene Entzündung?
Einer Sepsis geht eine Infektion voraus. Von einem Herd aus gelangen Mikroorganismen beziehungsweise Erreger konstant oder periodisch in die Blutbahn, und verteilen sich so im gesamten Körper, erläutert Beate Erath, die die Abteilung Mikrobiologie und die Klinikhygiene leitet. Sepsisherde können Wund-,Darm-, Harnwegs- oder Katheterinfektionen sein, ebenso wie eine Meningitis (Hirnhautentzündung) oder Endokarditis (Herzinnenhautentzündung). Das heißt: Selbst ein entzündeter Zahn oder eine andere vermeintlich kleine Wunde kann „Schuld“ sein. „Das kann ganz schnell gehen“, weiß Grapengeter.

Warum verlaufen Blutvergiftungen so oft tödlich?
Eine Sepsis ist schwer zu erkennen, weil die Symptome relativ unspezifisch sind und so auch bei anderen Erkrankungen oder nach Unfällen vorkommen. Bei einer Blutvergiftung breitet sich der Erreger über die Blutbahn aus, die Folge ist multiples Organversagen. „Bei einer Sepsis ist es wie bei einem Herzinfarkt“, sagt Grapengeter. „Schnelligkeit ist alles.“ Sei eine Blutvergiftung erstmal in Gang gekommen, sei sie kaum mehr zu stoppen. Die Forschung und Aufklärung vorantreiben möchte deshalb die Deutsche Sepsisgesellschaft mit Sitz am Universitätsklinikum Jena. Auch nach einer überstandenen Sepsis ist das Risiko für den Betroffenen weiterhin hoch. Im ersten Jahr danach beträgt die Sterblichkeitsrate immerhin noch 40 Prozent. Septische Schübe nach einer Erkrankung sind ebenfalls möglich. Weitere Spätfolgen können Schädigungen an Organen und des Immunsystems sein. Die Forschung und Aufklärung der vergangenen Jahre hat laut Grapengeter und Erath aber bereits zu einer besseren und häufigeren Diagnose sowie Behandlung geführt.

Wie erkennt man eine Blutvergiftung?
Ein niedriger systolischer Blutdruck unter 100 mmHg, eine hohe Atemfrequenz mit über 22 Atemzügen pro Minute sowie Bewusstseinsveränderungen, zum Beispiel Verwirrtheit – wenn diese drei Symptome zusammenkommen, sollten die Alarmglocken schrillen. Sie sind in dieser Kombination ein Hinweis auf eine Sepsis. Eine Mär ist laut Grapengeter der angeblich auftretende typische rote Streifen, der auf eine Blutvergiftung hinweist. Eine solche Lymphangitis entsteht, wenn Krankheitserreger sich von einer Wunde aus über die Lymphbahnen ausbreiten. Sie tritt aber eben nur bei „äußeren Eintrittspfaden“ auf, wie Beate Erath ergänzt. So ein roter Streifen kann also zwar auch bei einer Blutvergiftung auftreten, muss es aber nicht. Bei Verdacht auf eine Sepsis sollte umgehend der Notarzt alarmiert oder ein Krankenhaus aufgesucht werden. Die Diagnose sichern bestimmte Untersuchungen und Parameter, weiß Erath.

Wer ist besonders betroffen?
Eine Sepsis kann vom Baby bis zum Senior jeden treffen. Besonders gefährdet sind allerdings Menschen, deren Körper beziehungsweise Immunsystem ohnehin geschwächt ist, etwa durch eine andere Erkrankung, aufgrund von Stress, ungesunder Lebensführung oder aus Altersgründen. „Unser Immunsystem altert ab dem 35. Lebensjahr“, erklärt Grapengeter. Auf der Intensivstation des Klinikums habe man so gut wie täglich mit dem Krankheitsbild zu tun, berichtet er.

Wie kann schon die Entstehung vermieden werden?
Eine strenge Hygiene, wie konsequente Handhygiene, und aseptische – das heißt: sterile, keimfreie –  Techniken sind laut Beate Erath im Krankenhausalltag das A und O. Auf die Hygiene achten sollte aber auch jeder, der eine Wunde hat, im Alltag. „Alle Risikopatienten werden zum Beispiel auf bekannte schwer zu behandelnde Keime untersucht“, berichtet Erath. Die Patienten würden dann isoliert und im Falle einer MRSA-Besiedelung auch durch eine Nasensalbe und Waschungen dekolonisiert. „Katheter werden unverzüglich entfernt, wenn sie nicht mehr notwendig sind“, so Erath weiter. Empfohlene Impfungen täten ihr Übriges.

Wie wird eine Blutvergiftung behandelt?
Die Therapie hängt von der Art des Erregers beziehungsweise Keims ab, von der die Sepsis ausgeht. Je nachdem, ob es sich um Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilze handelt, wird die Behandlung angepasst. Es gilt also, den Erreger zu finden und zu identifizieren. Wobei parallel dazu schon mit einer Antibiotikatherapie begonnen wird – es muss schließlich schnell gehen. „Eine Wunderdroge gibt es leider nicht“, sagt Grapengeter.

Weitere Informationen: www.sepsis-gesellschaft.de

Zur Person
DR. MARTIN GRAPENGETER (48 Jahre) ist Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und spezielle Schmerztherapie. Er ist Facharzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin und spezielle Schmerztherapie, hat in Bonn und Johannesburg/Südafrika studiert und seine Ausbildung in Deutschland,  den Niederlanden und den USA erhalten. Seit 2011 ist er am Klinikum in Bad Hersfeld tätig. Grapengeter ist verheiratet, hat drei Töchter und lebt in Bad Hersfeld.
BEATE ERATH (56 Jahre) ist leitende Ärztin der Abteilung für Labordiagnostik und Klinikhygiene. Sie hat in Gießen studiert, hat eine Zusatzausbildung im Bereich Krankenhaushygiene und ist seit 1992 am Klinikum. Erath ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in Bad Hersfeld. (nm)

Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder Zeitung vom 11.10.2017