Wenn jede Minute zählt
Eine geplatzte Schlagader im Bauch – und eine Rettungskette, die Leben rettet
Seit April 2025 gehört Gerd Horstmann zu den Menschen, die gleich zweimal im Jahr Geburtstag feiern können: Am 29. April erleidet er eine lebensbedrohliche innere Blutung durch eine gerissene Schlagader im Bauch – ein sogenanntes rupturiertes Bauchaortenaneurysma. Dank einer reibungslos funktionierenden Rettungskette schafft es der Hersfelder rund eine Stunde nach Eintreten des Risses in den OP am Klinikum Bad Hersfeld und überlebt. „Das ist vor allem auch ihm selbst zu verdanken, da er instinktiv erkannt hat, dass er sich in einer absoluten Notsituation befindet und unmittelbar den Rettungsdienst alarmiert hat“, so Dr. Sebastian Pöhlmann, Leitender Oberarzt der Zentralen Notaufnahme am Klinikum Bad Hersfeld.
Seit einigen Jahren leidet Gerd Horstmann an einer Angina Pectoris, d.h. einer Brustenge, bei der es zu anfallartigen Schmerzen und einem starken Druckgefühl im Oberkörper kommen kann. „Dazu habe ich immer meine Medikamente dabei. In der Regel helfen die mir innerhalb kürzester Zeit“, erklärt der 75-Jährige. Ende April war dies jedoch nicht der Fall: Trotz Einsatz seines Medikamentensprays ließen die starken Schmerzen nicht nach. „Außerdem waren die Schmerzen deutlich stärker als sonst und auch eher im Bereich Bauch und Rücken“, erinnert er sich, „da wusste ich, dass etwas nicht stimmt.“ Geistesgegenwärtig wählt er den Notruf, beschreibt seine Situation und begibt sich nach draußen, um auf den Krankenwagen zu warten. „Aus heutiger Sicht war das der wichtigste Punkt in der Rettungskette: Herr Horstmann hat nicht gezögert, die 112 anzurufen und hat seine Symptome und die Dringlichkeit folgerichtig sehr gut beschrieben“, so Dr. Pöhlmann. Der eintreffende Rettungsdienst, der durch Horstmanns telefonische Beschreibungen informiert war, traf die Verdachtsdiagnose eines rupturierten Bauchaortenaneurysmas – also einer lebensbedrohlichen Situation. Um in diesem Fall keine weitere Zeit zu verlieren, entscheiden sich die beiden Rettungssanitäter, nicht auf den hinzugerufenen Notarzt zu warten, sondern den Patienten sofort in die Zentrale Notaufnahme am Klinikum Bad Hersfeld zu bringen. „Und das war die zweite wichtige Entscheidung an diesem Tag. Der Notarzt, der wenige Minuten später eingetroffen wäre, hätte in Herrn Horstmanns Zustand tatsächlich nichts machen können. Nur die unmittelbare Notoperation kann helfen. Und diese kann man nicht vor Ort oder im Rettungswagen machen“, erläutert Pöhlmann weiter.
Dr. Sebastian Pöhlmann ist es auch, der Gerd Horstmann im Klinikum entgegennimmt. Der Rettungsdienst hatte ihn bereits als „SK1 akutes Abdomen“ angekündigt – also einer Notfallsituation in der Bauchgegend, die sofort von einem Mediziner gesichtet werden muss. Entsprechend schnell führt das Team der Notaufnahme die notwendigen Untersuchungen durch, erkennt per Ultraschall die Blutung in der Bauchgegend sowie die gerissene Schlagader. „Noch innerhalb der ersten Minuten haben wir die Anästhesie und die Gefäßchirurgie alarmiert, die binnen weniger Minuten am Patienten waren“, so Pöhlmann. Damit kommt mit Dr. Maurice Laun ein ebenfalls erfahrener Anästhesist hinzu, der gemeinsam mit Pöhlmann die ersten Untersuchungen durchführt, den OP alarmiert und den Patienten letztendlich auf den OP vorbereitet. „Im Schockzustand hält der Mensch beispielsweise durch die Ausschüttung von Adrenalin seinen Kreislauf aufrecht. Wenn ich nun als Arzt über eine Narkose in diesen Kreislauf eingreife, kann es dazu kommen, dass der Blutdruck gefährlich weit sinkt und der Patient unter Umständen reanimiert werden muss. Mit meinem Kollegen Holger Hildebrand musste ich daher eine anspruchsvolle Narkose durchführen“, so Laun.
Um 12:55, und damit nur knapp über eine Stunde nach Absetzen des Notrufs, wird Gerd Horstmann in den OP gebracht. Dort operiert ihn Dr. Amer Jomha, Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie. Er hatte den Patienten unmittelbar ab dem Alarm in der Notaufnahme begleitet und übernommen. Während der Operation, die insgesamt fast 4 Stunden andauert, wird der auf etwa 7 cm eingerissene Abschnitt der Bauchschlagader durch einen Schlauch aus Kunststoffgewebe (Gefäßprothese) ersetzt. „Eine solche Notoperation kommt bei uns etwa sieben oder acht Mal im Jahr vor. In der Regel werden die sogenannten Aneurysmen, also Aussackungen in den Blutgefäßen, zufällig bei anderen Untersuchungen erkannt und dann durch mein Team in einer geplanten Operation versorgt, damit es gar nicht erst zum Riss kommt“, erklärt Dr. Jomha. „Viele weitere Patienten“, so ergänzt der 49-Jährige, „schaffen es nach Eintreten des Risses nicht schnell genug in den OP“. Das läge zu einem Großteil daran, dass der Notruf zu spät alarmiert würde oder die Situation schlichtweg zu gravierend sei. „Wenn die Aorta, also die Schlagader, reißt, läuft sehr viel Blut binnen weniger Minuten in den Bauchraum. Je nachdem wie groß und wo der Riss ist, kann der Patient sehr schnell verbluten. Es sind wirklich Minuten entscheidend“, ergänzt Dr. Jomha.
Als Gerd Horstmann im Aufwachraum wieder zu sich kommt, haben sich bereits seine Frau, Kinder und Enkelkinder dort eingefunden. „Ich habe heute keine Erinnerung mehr an alles, was nach dem Anrufen des Rettungsdiensts passiert ist. Erst an die Stunden nach der Operation auf der Intensivstation kann ich mich erinnern“, so Horstmann. Insgesamt verbleibt er nach dem Eingriff fast drei Wochen im Krankenhaus. Besonders die erste Woche unmittelbar nach dem Geschehenen hat er nur lückenhaft in Erinnerung. Das zeigt, wie gravierend die gesamte Situation war; dazu Horstmann: „Meine ersten Gedanken waren, dass ich etwas sehr Schlimmes überlebt habe.“
Im Anschluss an den Aufenthalt im Klinikum Bad Hersfeld durchläuft Horstmann eine 3-wöchige Reha in der Rodenbergklinik in Rotenburg a. d. Fulda. Mit verschiedenen Anwendungen und Beratungen gelangt er Schritt für Schritt wieder zurück zu seinem alten Ich. „Ich freue mich jetzt ganz besonders auf den Sommer und Herbst mit meiner Familie in meinem großen Garten. Da warten die Pflanzen aktuell schon auf mich“, schmunzelt er. Seinen drei ärztlichen Schutzengeln verdankt er seinen zweiten Geburtstag. „Der Fall von Herrn Horstmann zeigt sehr eindrücklich, dass wir hier im Landkreis eine funktionierende Rettungskette haben. Während Patienten manchmal ihren Unmut über lange Wartezeiten in der Notaufnahme äußern, versorgen wir vielleicht grade einen Notfall, bei dem jede Minute zählt“, so Dr. Pöhlmann zu seinem besonderen Einsatz.
Bildunterschrift:
Retteten das Leben von Gerd Horstmann (v.l.n.r.): Dr. Maurice Laun, Dr. Sebastian Pöhlmann und Dr. Amer Jomha